Wenn Eltern zu Lebzeiten eine Immobilie an ihre Kinder verschenken, wollen sie oft ihren Nachlass gestalten und möglicherweise den späteren Pflichtteilsergänzungsanspruch anderer Erben minimieren. Entscheidend ist hierbei die sogenannte 10-Jahres-Frist des Erbrechts (§2325 Abs. 3 BGB). Erst wenn diese Frist bei Eintritt des Erbfalls abgelaufen ist, zählt die Schenkung nicht mehr zum fiktiven Nachlass.
Doch wann beginnt diese Frist überhaupt zu laufen, insbesondere wenn sich der Schenker ein Recht an der Immobilie vorbehält?
Der Knackpunkt: Der „Genussverzicht“
Nach ständiger Rechtsprechung beginnt die 10-Jahres-Frist nicht zu laufen, wenn der Erblasser den „Genuss“ des verschenkten Gegenstands im Wesentlichen nicht aufgegeben hat. Dies soll verhindern, dass der Pflichtteilsanspruch durch sogenannte „bösliche Schenkungen“ ausgehöhlt wird.
Klassische Beispiele für einen gehemmten Fristanlauf sind:
- Die Schenkung eines Hauses unter Vorbehalt eines Nießbrauchs.
- Unter Umständen die Schenkung eines Hauses unter Vorbehalt eines Wohnungsrechts (§1093 Abs. 1 BGB).
Das OLG Nürnberg hat in seinem Urteil vom 27. Juni 2025 klargestellt, dass dieser Grundsatz auch bei einer Schenkung gegen die Vereinbarung einer durch Reallast gesicherten Leibrente gelten kann.
Leibrente statt Mieteinnahmen – kein Verzicht
Im verhandelten Fall hatten die Vertragsparteien bei der Schenkung eines vermieteten Grundstücks eine lebenslange Leibrente zugunsten des Schenkers vereinbart, die durch eine Reallast im Grundbuch gesichert war und sich der Höhe nach an den Netto-Mieteinnahmen orientierte.
Das Gericht sah darin keinen Verzicht auf den Genuss der Immobilie. Wirtschaftlich betrachtet hatte sich nämlich an der Lage des Schenkers nichts Wesentliches geändert: Er hatte weiterhin einen gesicherten Zahlungsanspruch in Höhe der Mieteinnahmen.
Beispiel:
Ein Vater schenkt seinem Sohn 1996 ein vermietetes Haus und sichert sich im Gegenzug eine lebenslange, wertgesicherte Rente in Höhe der damaligen Mieteinnahmen, gesichert durch eine Reallast. Im Jahr 2013 verzichtet der Vater auf die weitere Rentenzahlung und lässt die Reallast löschen. Er verstirbt 2021.
ristbeginn: Die 10-Jahres-Frist beginnt erst mit dem Verzicht auf die Rente und der Löschung der Reallast, also 2013.
Folge: Bis zum Erbfall 2021 sind lediglich ca. 7,5 Jahre vergangen. Die Schenkung wird daher bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs zu 30% berücksichtigt.
Wann läuft die Frist dann an?
Ein „Genussverzicht“ und damit der Beginn der 10-Jahres-Frist erfolgte in diesem Fall erst in dem Moment, als der Erblasser auf die Leibrentenzahlung verzichtete und das Sicherungsmittel (die Reallast) im Grundbuch gelöscht wurde.
Fazit:
Bei Immobilienschenkungen mit vorbehaltenen Rechten oder an Mieteinnahmen orientierten Renten ist die Gestaltung entscheidend, um den gewünschten Fristanlauf zu erreichen.